"Einhornblut und Feuerherz" - jetzt überall erhältlich:

 


Genre:
Romantasy, Märchenadaption
Seiten: 342 (Taschenbuch)
Verlag: Drachenmond Verlag
Coverdesign: Giessel Design
Lektorat: Alexandra Fuchs

Inhalt

Ein verhängnisvolles Geheimnis.
Ein unsterblicher Feind.
Und eine Suche, die alles verändert.

Seit Amelia denken kann, war ihr das Meer verboten. Als das Tor zum Strand eines Tages offensteht, findet sie dort ein Tagebuch, das alles verändert: Ihre Mutter, die angeblich in den Fluten starb, war nicht das, was sie zu sein schien - und sie könnte noch am Leben sein, irgendwo in den Magischen Landen. Entschlossen macht Amelia sich auf die Suche und gerät in eine Welt aus Magie, Legenden und tödlichen Gefahren.
Dabei ist sie nicht die Einzige, die die Vergangenheit nicht ruhen lässt. Eine dunkle Gestalt verfolgt jeden ihrer Schritte, und ein brennender Bär jagt sie durch die Nacht. Um zu überleben, muss sie sich mit Valerian verbünden – einem Mann, dessen Herz so lodernd ist wie die Flammen, die Amelia fürchtet. Doch was, wenn ihr größter Feind in Wahrheit an ihrer Seite steht?

Leseprobe zu "Einhornblut und Feuerherz"

Auszug aus Kapitel 5:

»Ich glaube, ich erinnere mich an eine Geschichte, die mir meine Mutter früher erzählt hat. Vielleicht kennst du sie? Sie erzählt von einem Fabelwesen, einem Einhorn, das sich in einen Menschen verliebt.« Amelia richtete den Blick auf die Hände in ihrem Schoß, während sie sprach. »Zuerst beginnt der Traum schön. Ich beobachte, wie es über Wiesen und durch Wälder läuft, mit Schmetterlingen tanzt und Freundschaft mit einem Prinzen schließt. Dann wird es dunkel und gleich darauf wieder hell, aber nicht wie an einem Sommertag, sondern eher wie an einem Herbstmorgen. Wenn die Sonne gerade den Horizont erreicht und glutrote Strahlen über die Erde schickt, verstehst du? Ich spüre die Angst des Einhorns, es schreit und bäumt sich auf und dann …« Amelia knibbelte an der Haut ihres Daumens und hob den Kopf. »Dann verwandelt es sich in meine Mutter.«

Bei ihren letzten Worten glitt Milda eine Schüssel aus den Händen. Mit einem platschenden Geräusch landete sie im Spülwasser.

Diese Reaktion ließ ihr Herz schneller schlagen. Es wirkte tatsächlich, als wäre Milda diese Geschichte nicht fremd. »Ich weiß, dass diese Bilder vermutlich durch ihren kürzlichen Todestag hervorgerufen werden, aber …« Nun stand sie auf und machte einen Schritt auf Milda zu. »Aber sie fühlen sich so real an. Wie eine Erinnerung.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Werde ich verrückt, Milda?«

Die ältere Frau seufzte und trocknete ihre Hände ab. Als sie sich Amelia wieder zuwandte, glitzerten ihre Augen feucht. »Es reicht«, sagte sie mit rauer Stimme. »Ich kann dieses Schauspiel einfach nicht weiter aufrechterhalten. Du hast ein Recht auf diese Erinnerungen. Das Tagebuch hat nicht umsonst seinen Weg zu dir gefunden.«

»Welches …« Ein heftiger Schmerz schoss Amelia in den Kopf. Sie kniff die Augen zusammen, hielt sich an der Lehne des Stuhls fest und rieb mit der freien Hand über ihre Stirn. Bilder flammten hinter ihren geschlossenen Lidern auf, begleitet vom Widerhall eines Wortes: Tagebuch.

Da war das Meer, beschriebene Seiten, ihr zorniger und gleichsam trauriger Vater. Und Wenzels Magie, die wie ein undurchsichtiger Vorhang etwas vor ihr verschloss.

»Mein Kopf …« stöhnte sie. In ihrem Geist gerieten die Bilder in Bewegung, als ob sie das Gesehene wirklich erlebte. Das Rauschen von sich überschlagenden Wellen, das Knistern von papierfressenden Flammen, die Stimme ihres Vaters. Und Worte ihrer Mutter, vor vielen Jahren ausgesprochen und doch tief in ihrem Inneren verankert.

Und so verwandelte er es, formte aus dem Pferdekörper den einer Menschenfrau und verbarg das Horn hinter einem Stern auf ihrer Stirn.

»Genau … wie bei dir …«, stammelte Amelia, während das Gesicht ihrer Mutter in ihrer Vision auftauchte, auf der Stirn das gezackte Mahl, wie in der Geschichte.

Milda war mittlerweile bei ihr, griff ihr unter den Arm und brachte sie dazu, sich zu setzen. »Wenzels Zauber mögen mächtig sein, aber unbezwingbar sind sie nicht«, murmelte sie, während sie Amelia über den Hinterkopf strich. »Das wusste schon Theresa.«

Als sie den Namen ihrer Mutter hörte, brachen auch die letzten Barrieren, die ihre Erinnerungen verbargen. Mit einem Schlag war alles wieder da. Nicht nur die Ereignisse vom letzten Festtag, an dem sie am Meer gewesen war, sondern auch die Dinge, die ihre Mutter ihr erzählt hatte, als sie noch ganz klein gewesen war. Die Kopfschmerzen ebbten ab und sie hob ruck-artig den Kopf.

»Mein Traum … Die Gute-Nacht-Geschichte … Das ist alles wahr?«

Milda fuhr ihr zärtlich über die Wange. Erleichterung spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider, aber auch Sorge. Mit einem zaghaften Lächeln nickte sie.

»Und du – du warst die Magd, die ebenfalls fähig war, sie als Einhorn zu sehen, oder? Das habe ich gelesen!«

Wieder ein Nicken. »Deine Mutter war etwas ganz Besonderes. Und das nicht nur aufgrund ihrer Abstammung.« Milda hockte sich neben sie. »Genau wie dein Vater. Er und sein Bruder glichen einander nicht mehr als Tag und Nacht«, begann sie zu erzählen.

Amelia lauschte jedem Wort, während die verschwommene Erinnerung an eine Gute-Nacht-Geschichte vollkommen neue Konturen bekam. Es war unfassbar. Hatte sie gegenüber den Tagebucheinträgen Vorbehalte gehabt, genährt von den Anschuldigungen ihres Vaters, zweifelte sie keinen Augenblick an dem, was Milda berichtete.

Am Ende lagen sie sich weinend in den Armen. Die Skrupellosigkeit ihres Onkels schockierte Amelia genauso wie die grausame Gehorsamkeit des Bären. Die Liebe zwischen ihren Eltern, die ihre Mutter dazu gebracht hatte, in Menschengestalt zu verweilen, klang hingegen unglaublich romantisch.

»Aber wenn am Ende alles gut ausging«, schluchzte sie, »warum habt ihr das all die Jahre verschwiegen?«

Geräuschvoll schnaubte Milda in ein Taschentuch, welches sie aus ihrer Schürze zog. Danach wirkte sie gefasster. »Wenn dies der Ausgang wäre, wäre sie noch bei uns, oder?«

Nun war es an Amelia, wiederzugeben, was sie gelesen hatte. »Im Inneren war sie das Einhorn, als welches sie geboren worden war. Geist und Körper lebten in ständigem Kampf miteinander und das hat sie verrückt gemacht. Die letzten Einträge des Tagebuchs waren voller Traurigkeit. Sie wirkte unendlich zerrissen zwischen dem Wunsch, bei uns zu bleiben, und dem Drang, in die magischen Wälder zurückzukehren.«

»Schlussendlich erlag sie wohl dem Ruf ihrer Heimat. Ich erinnere mich noch zu gut an die quälende Sehnsucht in ihren Augen, wenn sie davon sprach.«

Etwas Spitzes bohrte sich in Amelias Herz. Zu wissen, dass ihre Mutter sie einfach zurückgelassen hatte, schmerzte nicht weniger als der Gedanke, sie wäre tot.

Milda ergriff ihre Hand. »Es gab nur eine Sache, die ihr Leid lindern konnte – du. Himmel, wie sehr sie dich geliebt hat, mehr noch als deinen Vater.«

»Nicht genug, um zu bleiben.«

Milda fuhr ihr mit dem Finger über die Wange. »Sie hat darum gekämpft, zu bleiben. Aber ihre magischen Wurzeln ließen sie nicht. Ohne die Magie wäre ihr kein langes Leben mehr vergönnt gewesen.«

»Du glaubst also, ihr blieb keine Wahl? Aber warum stellte mein Vater dann die abstruse Behauptung auf, sie wäre im Meer ertrunken?«

»Er wollte dich schützen«, behauptete Milda voller Überzeu-gung. In diesem Punkt schien sie hinter König Eik zu stehen.

»Vor der Wahrheit?«

»Das auch. Aber mehr noch vor …«

Bevor sie den Satz beenden konnte, erklang ein ohren-betäubendes Brüllen. Lauter als das schrecklichste Gewitter dröhnte es vom Wald her, begleitet von einem Beben, welches das Geschirr in den Schränken klirren ließ. Gleichzeitig stieg die Temperatur im Raum und die Flammen im Kamin tanzten, als würde der Wind hineinfahren.

Milda und Amelia sahen sich mit aufgerissenen Augen an. Dann ertönte ein weiteres Brüllen, dieses Mal näher. Sie sprangen auf, wobei Amelias Stuhl umkippte und gefährlich nah am Feuer zum Liegen kam.

Mit einem Satz waren sie am Fenster und blickten in die Dämmerung, die mittlerweile eingesetzt hatte.

Einige Baumwipfel bebten, als würde ein Sturm im Wald wüten. Vögel stoben auf in einen Himmel, der von einem roten Glühen überzogen war. Es hätte die Farbe des schönsten Sonnenuntergangs sein können, wenn das Fenster nicht gen Süden ausgerichtet wäre.

Weitere Bäume zitterten, dann knickten einige ab, als wären es Streichhölzer. Ihr Fallen offenbarte, was da im Wald wütete.

»Er hat dich nicht nur vor der Wahrheit beschützt, sondern vor ihm«, brüllte Milda und deutete auf das riesige schwarze Tier.

Die Nüstern des Bären rauchten, während er sich zwischen den Bäumen hindurchzwängte. Das Bersten von Holz mischte sich mit dem wilden Schnauben des Untiers, bis er in voller Größe aus dem Unterholz hervorgetreten war.

Amelia starrte die Bestie an, unfähig, sich zu rühren. Sie war hoch wie ein Haus. Ihr pechschwarzes Fell stand in langen Zotteln ab, an dessen Ende Flammen züngelten. Sie tanzten über seinen Rücken und die Beine, umspielten die Ohren und selbst den kurzen Schwanz. Aus den Nüstern in seinem massigen Schädel drang kein Atem heraus, sondern Rauchschwaden, die in kleinen Wolken aufstiegen.

Wie oft hatte ihre Mutter von dem Ungetüm gesprochen, doch keine ihrer Schilderungen reichte auch nur ansatzweise an den Schrecken heran, der sich ihr jetzt zeigte.

Der Bär war noch mehrere Dutzend Schritt entfernt, dennoch hörte sie genau, wie er mit den Pranken aufstampfte und die Nüstern blähte, abermals begleitet von dichten Rauchschwaden.

Milda krallte die Finger in ihren Arm. »Wie zum Teufel ist er freigekommen? Deine Eltern haben ihn ins Meer getrieben und Wenzels Zauber sorgt dafür, dass er dort bleibt. Er kann nicht entkommen!«

»Aber er ist hier«, krächzte Amelia panisch und fasste ebenfalls nach Milda. »Wie …? Was …? Was will er?«

»Ich weiß es nicht. Er gehörte Isger und folgte seinem Befehl. Der letzte, den dieser ihm gab, war …« Mildas Griff wurde fester, fast schmerzhaft. »Er sollte Einhörner jagen, vor allem ein ganz bestimmtes.«

Als hätte er ihre Worte vernommen, stellte sich der Bär auf die Hinterbeine, ruderte mit den Pranken in der Luft und ließ sie kurz darauf dröhnend auf die Erde knallen. Sein Kopf schwang dabei von links nach rechts, bis er ruckartig innehielt. Wahnsinn glomm in seinen Iriden, die nun eindeutig das Fenster fixierten, hinter dem sie kauerten.

Geistesgegenwärtig ließ Milda sich fallen und zog Amelia mit sich. »Mädchen«, keuchte sie. »Wie auch immer er entkommen ist, er führt seinen Auftrag fort. Er sucht das, was dein Vater am meisten liebt.« Kurz lugte sie über das Fensterbrett, kauerte sich jedoch sofort wieder hin. »Die, deren Blut auch in deinen Adern fließt.«

»Was?«, japste Amelia und sackte an der Hauswand zusammen.

»Deswegen wollte dein Vater nicht, dass du an den Strand gehst. Genau davor hatte er Angst!« Milda schüttelte sie. »Schätzchen, sag mir: Hast du ihn gesehen, als du dort warst? Hattest du Kontakt zu ihm? Hast du ihn in irgendeiner Weise provoziert oder gelockt?«

Amelia schüttelte ihre Hände ab. »Nein. Da war niemand!« Dann fiel ihr etwas ein. »Aber später, von meinem Zimmer aus … Ich glaube, da habe ich ihn gesehen. Da war ein rotes Glühen in den Wellen …«

Abermals ertönte das laute Schnauben des Bären. Es klang näher und als ihr Blick nach oben huschte, kräuselten sich bereits ein paar dunkle Rauchschwaden an der Scheibe.

»Schhhh«, hauchte Milda und presste ihr den Finger auf die Lippen. Dann drückten sie sich unter dem Fenster an die Wand.

Von draußen drangen die schweren Schritte des Tieres zu ihnen. Er konnte keine zehn Armlängen mehr vom Haus entfernt sein. Sie hörten sogar, wie der Bär Luft holte, bevor er ein heiseres Brüllen ausstieß, das die Steinmauern um sie herum erzittern ließ.

Im nächsten Moment zerbarst das Fenster über ihnen und Glas regnete herab.

Noch bevor Amelia begriff, was geschehen war, zog Milda sie auf die Füße und zu der anderen Seite der Hütte, Richtung Ausgang.

Amelia wagte es, einen Blick über die Schulter zu werfen. Der massige Schädel des Bären ragte hinter dem Fenster auf. Die handtellergroßen Augen lugten herein, der Wahnsinn in ihnen schlug heiße Flammen. Doch noch hatte er sie nicht entdeckt.

Stattdessen zog er sich zurück und drehte sich zur Seite, sodass sie erst seinen Rumpf und schließlich seinen zuckenden Schwanz sehen konnte, der eine einzige lodernde Flamme war.

Im nächsten Moment bebte das Haus erneut. Sie duckten sich. Staub rieselte von der Decke, brannte in ihren Augen, während Steine aus der Wand ihr gegenüber brachen. Einer der Deckenbalken ächzte bedrohlich, bevor er ein Stück absackte.

»Er wird die Wand niederreißen«, stieß Milda hervor. »Wir müssen hier raus!«

Amelia hielt sie zurück. »Und dann? Er wird uns sehen, wenn wir draußen sind.« Sie klammerte sich an deren Arm. »Ich habe solche Angst!«

Milda schlang ihre Arme um sie und ließ ihren Blick durch die Hütte gleiten, bis er sich an einem Gegenstand verfing.

»Ich werde nicht zulassen, das dir etwas geschieht«, raunte sie Amelia ins Ohr. »Aber du musst mir versprechen, auf mich zu hören und genau zu tun, was ich dir jetzt sage. In Ordnung?«

Als Amelia zögerte, fügte Milda hinzu: »Für deine Mutter.«

Nun nickte Amelia.